Rheinland, um 1893/94. Ein zweites Mal kam Lorenz nach Deutschland. Eine neue Generation übernahm nun die Familienbetriebe in Deutschland und in Amerika.
Einige Wochen später waren Lorenz und Annelie auf einem gewaltigen Dampfer unterwegs nach Deutschland. Die Reedereien rivalisierten um Größe und Komfort; bald würden schwimmende Paläste wie die Titanic vom Stapel laufen.
Die Wiedersehensfreude war groß. Auch Emil war inzwischen ein Herr in den besten Haaren, an Lena schien die Zeit spurlos vorbeigegangen zu sein. Auch Sophie und Andras waren gekommen. Sie waren nun an der österreichisch-ungarische Botschaft in Brüssel und hochgeachtet. Sophie hatte ihre Kontakte aus Kindertagen erneuert und belgischer Hutmacher in ihr Ausbildungs- und Austauschprogramm eingebunden. Inzwischen war das „Csabany-Programm“ hochangesehen, Sophies Name öffnete ihren Protégés viele Türen.
Steinbrüche und Siebengebirgsbahnen (um 1893, Siebengebirge)
Im Siebengebirge war der Tourismus inzwischen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Lorenz, der weißhaarige ältere Herr, war gespannt wie ein kleiner Junge auf die neuen Bergbahnen und wollte mit allen fahren: Mit der Drachenfelsbahn, die seit 1883 hinauf zum Drachenfels fuhr, der ersten Zahnradbahn in Deutschland überhaupt. Dann mit der Zahnradbahn zum Petersberg, und mit der Heisterbacher Talbahn, die seit 1891 von Niederdollendorf durch Oberdollendorf am Kloster Heisterbach vorbei bis nach Grengelsbitze fuhr. Am Wochenende beförderte die HTB Ausflügler, unter der Woche brachte sie Berufstätige zur Arbeit und Steine aus den Steinbrüchen hinab ins Tal.
Die Steinbrüche .. der Anblick der „klaffenden Wunde“ am Petersberg gab Lorenz einen Stich in Herz. Die Schäden an der Natur alarmierten viele Menschen und der VVS verhandelte und kämpfte. „Haben sie eine Chance?“ fragte Lorenz. „Nun, den Interessen der Natur stehen die Interessen der Betreiber, aber auch der Arbeiter in den Steinbrüchen entgegen“, antwortete Emil, „und vergessen wir nicht die der mittelbar Betroffenen, etwa die Heisterbacher Talbahn, die hauptsächlich den Transport von Steinen betreibt. Schließlich ist der Fremdenverkehr wichtig, denn viele Menschen haben das Siebengebirge als Ausflugsziel für sich entdeckt und lassen viel Geld in den Hotels, Restaurants, Transportunternehmen usw. Wir werden alles daran setzen, eine gute Lösung zu finden!“ *
Rheindampfer „Aimée“
Emils und Lenas Tochter Susan war ein junge Dame. Sie hatte große Neuigkeiten. „Nein, ich werde nichts verraten“, sagte sie, „Ihr werdet es gleich selbst sehen“. Susan führte zur Rheinpromenade, zu einem kleinen Rheindampfer mit dem Namen „Aimée“. Dort wartete schon Hans auf sie, an seiner Seite stand ein junger Mann. „Das ist die ‚Aimée'“, sagte Susan mit einem strahlenden Lächeln, „und das ist ihr Kapitän, Etienne.“ Der alte Kapitän Boule-Piquelot war gestorben und hatte die „Aimée“ seinem Ziehsohn Etienne und seinen Freunden, Hans und den Bergmanns, vermacht. „Wir werden unter deutscher und elsässischer Flagge den Rhein befahren und die Tradition der „Aimée“ aufrecht erhalten“, fuhr Susan fort, „Hans wird am Steuer sein, und ich übernehme den gastronomischen Service.“
Annelie lächelte und zwinkerte ihrem Ehemann Lorenz zu. „Susan strahlt richtig“, flüsterte sie, „und ich wette, dass es nicht nur wegen diesem wunderbaren kleinen Dampfer ist.“ „Etienne ist ein feiner junger Mann“, sagte Hans, der ihre geflüsterte Unterhaltung mitbekommen hatte. „Ich würde mich sehr freuen, wenn die beiden zusammenkommen, und am besten auf der ‚Aimée‘.“ Er hatte den jungen Kapitän auf Anhieb gemocht, und war glücklich, dass er nicht ein Kapitän im Ruhestand sein musste, der nur auf der Couch saß.
Militarismus
An jenem Abend saßen sie alle zusammen. „Möge Euer Glück ewig andauern“, sagte Lorenz, hob sein Glas, und schickte ein stummes Gebet hinterher: „Und mögt Ihr nie gezwungen sein, zu den Waffen zu greifen.“
Später an jenem Abend kam Emil auf ihn zu. „Du spürst es auch, nicht?“ begann er, „diesen wachsenden Militarismus und Nationalismus. Viele hier sind nicht zufrieden mit Deutschlands Platz in der Welt, für sie ist es Zeit, dass sich die militärische und wirtschaftliche Stärke unseres Landes auszahlt, dass die Welt Deutschland als Großmacht anerkannt, die immer an der Spitze sein wird. Bismarcks Tage sind vorbei, und so ist seine bedachte Außenpolitik. Sie feiern den Jahrestag der Sedan-Schlacht in großem Stil und denken, dass Krieg vor allem Ruhm bedeutet. Anders als Du und ich, haben viele von ihnen nie die Schrecken des Krieges erlebt.“
* Nach langen Verhandlungen, Aufkauf von Gelände und juristischen Auseinandersetzungen wurde im April 1908 der letzte Steinbruch am Petersberg geschlossen. Doch in anderen Bergen ging der Steinbruch weiter, so etwa am Weilberg und am Stenzelberg.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar