Deutschland und Amerika, um 1890. Nach einer langen Phase der Stagnation ging es in Deutschland wieder aufwärts. Die USA stiegen zur weltweit führenden Wirtschaftsmacht auf.
1888 war ein Drei-Kaiser-Jahr in Deutschland: Kaiser Wilhelm I. verstarb im März, tief betrauert von seinem Land. Sein Sohn Friedrich III. war todkrank. Kehlkopfkrebs ließ ihm nur noch wenig Zeit, schon 99 Tage später verstarb auch er. Nun folgte de facto der knapp dreißigjährige Enkel Wilhelm II. dem Großvater.
Eine sehr innovative Zeit
Nach der langen Phase der Stagnation ging es in Deutschland wieder aufwärts. „Herrlichen Zeiten führe ich Euch entgegen“, hatte Kaiser Wilhelm II. gesagt, und man mochte es wohl glauben. Das wilhelminische Deutschland war ein moderner Industriestaat, in heutigem Sprachgebrauch ein „High Tech Standort“, denn vor allem die Zukunftsindustrien Chemie, Pharmazie, Elektrotechnik und Optik trugen zum Wirtschaftsboom bei. In Berlin und anderen Großstädten sah man Automobile, Straßenbahnen und elektrisches Licht.
Junger Kaiser – alter Kanzler
Trotz all seiner Verdienste war Bismarcks Zeit nun vorbei. Des jungen Kaisers neue Welt mit ihrem technischen Fortschritt, den Überseehäfen, Automobilen und ihrem Radau blieb ihm fremd. Sein Lebenswerk, die Reichsgründung, war getan, doch sein Kaiser und die vielen jüngeren Menschen im Reich wollten nicht nur das Erreichte bewahren und sichern. Deutschland war schon die „verspätete Nation“, nun sollte das Deutsche Reich, das herausragende wirtschaftliche und militärische Erfolge vorweisen konnte und bis auf die USA jeden überflügelte, auch einen angemessenen Platz unter den Weltmächten einnehmen. Den meisten gefiel das selbstbewusste, forsche Auftreten ihres Kaisers. Doch bald wurde der Nationalismus zum Chauvinismus, der andere Nationen und Menschen abwertete.
Vor allem wollte der junge Kaiser nicht im Schatten des übermächtigen Kanzlers stehen, sondern „sein eigener Kanzler sein“, und griff immer mehr in die Regierungsgeschäfte ein. Bismarck wiederum, der fast dreißig Jahre lang der zweitmächtigste, wenn nicht gar der mächtigste Mann im Reich gewesen war, sah sich degradiert. Es kam zum Bruch, und am 20. März 1890 wurde Bismarck entlassen. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er auf seinem Gut Friedrichsruh bei Hamburg, mit seiner Familie und seinen geliebten Doggen. Am 30. Juli 1898 verstarb er.
Der autoritäre Staat
Doch der wirtschaftliche Fortschritt ging nicht mit politischem einher, das wilhelminische Deutschland war ein konservativer Obrigkeitsstaat. Nach dem Kaiser standen der Adel, die Militärs und die Besitzbürger an der Spitze der Gesellschaft; sie waren in der Regel ergebene Untertanen seiner Majestät. Das Parlament, der Reichstag hingegen genoss trotz des gewaltigen, pompösen neuen Reichstagsgebäudes nur geringes Ansehen. Vor allem das Militär genoss hohes Ansehen, der Kaiser selbst trug stets Uniform, und auch für eine zivile Karriere war der Militärdienst Voraussetzung.
USA
Die USA stiegen zur weltweit führenden Wirtschaftsmacht auf. 1867 war Alaska von Russland erworben worden, 1882 kam der Bundesstaat Washington hinzu. Das ganze Land gehörte nun den US-Amerikanern, die Indianer waren in zahlreichen Kriegen getötet oder in Reservate gedrängt worden. Am 29. Dezember 1890 töteten Soldaten des 7. US-Kavallerieregiments Männer, Frauen und Kinder der Minneconjou-Lakota-Sioux-Indianer bei Wounded Knee, im Pine Ridge Reservat in Süd-Dakota. Dieses Massaker brach den letzten Widerstand der Indianer gegen die Weißen.
New York war eine Millionenstadt, Hochhäuser ragten in den Himmel. Mehr und mehr Menschen zogen nach Amerika, um dort ihr Glück zu machen. Zwischen 1865 und 1890 kamen über 10 Millionen Menschen, hauptsächlich aus Nord- und Westeuropa, in die USA. Doch trotz allen wirtschaftlichen Aufschwungs und technischen Fortschritts gab es große Armut und Korruption, vor allem in den Städten. Seit einem Jahr wurden die Einwanderer in Ellis Island, einer Insel außerhalb des Stadtgebiets von New York abgefertigt, zugleich wurden die Immigrationsgesetze weiter verschärft.
„Wer das alte Vaterland nicht ehrt, ist des neuen nicht wert“ (1893, Amerika)
1893 fand die Weltausstellung in Chicago statt. Aus Anlass des Deutschen Tages hatte man Carl Schurz um eine Ansprache gebeten. Sein »Gruß ans alte Vaterland« wurde in den Zeitungen gedruckt. Lorenz, inzwischen weißhaarig wie Schurz, saß in seinem Lehnstuhl auf der Veranda des „Merry Dragon“ und las. Das galt ja für ihn und seine Familie auch. Er liebte seine neue Heimat, die USA, und er liebte seine alte Heimat. Man las deutsche Autoren ebenso wie amerikanische, englische und irische. „Schurz hat mir da aus dem Herzen gesprochen“, sagte er zu seiner Frau Annelie, „wer die alte Mutter nicht ehrt, ist auch unfähig, die junge Braut zu lieben.“* Lächelnd schaute er auf seine Frau. Annelie war noch genau schön wie damals als junge Braut, dabei war sie seit Jahren nicht nur eine „alte Mutter“, sondern sogar Großmutter. „Wir sollten noch einmal fahren, bevor wir zu alt werden“, sagte er lächelnd.
* Zitiert aus „Gruß ans alte Vaterland“, www.wikipedia.de
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