Amerika, 1776. Als die Kolonien ihre Unabhängigkeit verkünden, schickt England Truppen nach Amerika, unter ihnen sind auch angemietete Regimenter aus Hessen.
Andy, der als Jugendlicher nach Nordamerika gekommen war, war nun Großvater. Ambrose und seine Frau Rachel hatten den Sohn Emmett und die Tochter Laurie, Betty und ihr Mann Simon den Sohn Randolph. Ihm und Cathy waren noch lange, glückliche Jahre vergönnt gewesen, bevor sie schließlich im Frieden starb.
„No taxation without representation“
Nach dem Frieden von Paris 1763 war England die vorherrschende Kolonialmacht. Doch als es Deckung der hohen Kriegskosten den amerikanischen Kolonien neue Steuern auferlegte, ihnen politische Mitbestimmung aber verweigerte, stieß es auf den Widerstand vieler Amerikaner, welche die Bevormundung durch das Mutterland in Handelsfragen schon lange leid waren. Nach englischem Recht durfte es „keine Besteuerung ohne politische Repräsentation“ („no taxation without representation“) geben. Es kam zu Boykotten und Widerstandsaktionen wie der Boston Tea Party. England erließ daraufhin eine Reihe von Strafgesetzen, die „Intolerable Acts“ oder „Coercive Acts“*.
Die Wut der Kolonisten
Eines Abends kam Ambrose von einem Besuch bei seiner Schwester in Philadelphia zurück. „Auch dort sind die Leute unglaublich wütend“, sagte er, „jetzt wollen uns die Engländer bestrafen. Sie haben eine Reihe von Gesetzen verabschiedet: Der Hafen von Boston wird für den Handel geschlossen, Versammlungen in den Städten sind verboten, alle britischen Beamten sind der Rechtsprechung der Gerichte von Massachusetts entzogen, und wir müssen britischen Soldaten Quartiere stellen. Unerträglich ist das.“ Ein Versuch britischer Soldaten, ein koloniales Waffenlager auszuheben, löste dann den Unabhängigkeitskrieg aus.
„Proclaim Liberty throughout all the Land“
Am 4. Juli 1776 war Ambrose mit seiner ganzen Familie nach Philadelphia geeilt, denn es war ein ganz besonderer Tag. Heute würde die Unabhängigkeitserklärung der 13 nordamerikanischen Kolonien, angenommen vom Zweiten Kontinentalkongress, öffentlich verlesen. Betty zeigte hinauf zum Glockenturm des Pennsylvania State House: „Hört mal, die Glocke“, rief sie, „heute wird sie geläutet, weil wir und alle Menschen die Unabhängigkeitserklärung hören können.“ „Ich habe auch etwas für Dich“, raunte Simon seiner Betty ins Ohr, und zog ein kleines Büchlein aus der Tasche. Neue Heimat Pennsylvania“, las Betty, und dann jauchzte sie vor Freude. Da waren sie, alle ihre Artikel, gedruckt und gebunden.
Der Unabhängigkeitskrieg (1775-1781, Amerika)
Doch würde England seine Kolonien ziehen lassen? Auch unter den Amerikanern gab es Englandtreue und Unentschiedene, nur ein Drittel wollte mit General Washington in den Krieg ziehen.
Auch Andy war sehr nachdenklich. Er spürte, dass er auf das Ende eines langen Lebens zuging, und wünschte sich einen friedlichen Lebensabend. Als Junge war er geflohen und wollte nie mehr Tote, Kriegsversehrte und niedergebrannte Dörfer und Felder sehen. Doch hier ging es vor allem um seine Kinder, seine Enkelkinder und die Generationen nach ihnen. Sie waren nach Nordamerika gekommen, um frei zu leben, wie konnten sie sich nun wieder unter die Herrschaft einer fernen Regierung fügen, die ihnen keine Vertretung gestattete?
„Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit .. alle Menschen sind gleich geschaffen“, wiederholte er in Gedanken die Worte aus der Unabhängigkeitserklärung. Andy wusste wohl, wie es war, wenn man dem Willen eines Herrschers ausgeliefert war. Ambrose, sein Sohn, Emmett, sein Enkel und Simon, sein Schwiegersohn, würden in General Washingtons Armee kämpfen. Entschlossen machte er sich auf den Weg zu Sean, um einen Plan für die Versorgung der Kontinentalarmee auszuarbeiten.
Schon bald kam der Krieg an den Brandywine Creek. Ende Juli 1777 marschierten britischen Einheiten nach Philadelphia. General Washington und seine Soldaten wollte sie am Brandywine Creek aufhalten, unterlagen aber am 11. September 1777 und mussten sich zurückziehen. Am 26. September 1777 marschierten die Eng-länder in Philadelphia ein.
England mietet Soldaten
Viele Amerikaner waren empört darüber, dass die britische Regierung im Ausland ein ganzes Heer angemietet hatte und nun gegen sie schickte. Da die meisten ausländischen Soldaten aus Hessen stammten, sprach man bald allgemein von den „Hessians“. Geriet ein hessischer Soldat in Gefangenschaft, bekam er diese Empörung zu spüren, obwohl den Soldaten selten Leid geschah. George Washington selbst hatte darauf hingewiesen, dass viele von ihnen nicht freiwillig in der Armee waren.
Er ließ deutsche Gefangene in Orten unterbringen, die von eingewanderten Deutschen bewohnt wurden. Wenn sie dann erlebten, wie ihre Landsleute in Amerika als freie Menschen auf eigenem Grund und Boden ihr Leben gestalteten, so hoffte Washington, würden sie nicht mehr gegen die Amerikaner kämpfen und vielleicht selbst in der Neuen Welt bleiben. Zugleich war er streng dagegen, desertierte Hessen in seine Armee aufzunehmen. Dabei kam für die meisten Landeskinder unter den Soldaten Desertation ohnehin nicht infrage. Desertierte ein Soldat, so musste ein Verwandter an seiner Stelle dienen. So harrten viele Soldaten bis Kriegsende in Gefangenschaft aus und arbeiteten bei Amerikanern.
Männer aus Hessen
Auch in Andys Städtchen hatte man zwei Soldaten untergebracht. Fritz, ein Hesse, litt sehr unter der Trennung von seiner Familie. Bei Johann, der im ‚Merry Dragon‘ half, war Andy sich nicht sicher. „Eurer Sprache nach seid Ihr seid kein Hesse, nicht?“ fragte er ihn schließlich, „ehrlich gesagt weckt sie Erinnerungen.“ Bei diesen Worten blickte Johann auf. „Nein“, sagte er, denn er sah die ehrliche Freundlichkeit des greisen Herrn, „ich komme vom Rhein, aus dem Herzogtum Berg. Mit Jakob bin ich seit langem befreundet, und als ich ihn zu seiner Hochzeit in Kassel besucht habe, ist es geschehen. Wir haben lange gefeiert, und während der Nacht hat man meine Papiere gestohlen und ich musste in die Kaserne.“
Andy nickte mitfühlend. „Was werdet Ihr tun, wenn das alles hier vorbei ist?“ fragte er. „Ich weiß es nicht“, antwortete Johann, „wir Ihr seht, hat eine Kugel meinen rechten Arm verletzt, in hessische Dienste kann ich so nicht zurück, ich will es auch nicht, und so wird man mich kaum mit nachhause nehmen. Erst einmal hierbleiben käme aber einer Auswanderung gleich, was unser Landesherr, Kurfürst Carl-Theodor von Pfalz-Sulzbach, verboten hat. Also würde mich zuhause Strafe erwarten.“ Andy nickt betroffen. „Ja, ich weiß, das geht schnell“, sagte er, „wisst Ihr, ich komme aus derselben Gegend. Mein Ziehvater und ich, wir mussten damals fliehen, und hätte uns nicht ein hochanständiger bergischer Amtmann geholfen, wer weiß, was aus uns geworden wäre.“
Erinnerungen an Großonkel Matthias
Schlagartig wurde Johann still. Nach einer Weile sagte er: „Dann seid Ihr der Sohn jenes Baumeistes, dem Großonkel Matthias Bergmann damals geholfen hat?“ Nun verstummte auch Andy. „Was ist aus ihm geworden?“ fragte er schließlich, „Vater und ich haben immer gebetet, dass es ihm nicht geschadet hat.“ „Großonkel Matthias hatte viele Neider“, sagte Johann, „und die haben ihn beim damaligen Herzog von Berg, dem Kurfürsten Johann Wilhelm, gleich angeschwärzt. Als bergischer Amtmann konnte er nicht bleiben, aber da er von den meisten Menschen hochgeschätzt wurde und auch Johann Wilhelm um seine Tüchtigkeit wusste, hat er ihm eine Pension gewährt. Die Männer unserer Familie wurden seither immer wieder in andere Ecken des Kurfürstentums versetzt, wo der Kurfürst uns gerade brauchte: Düsseldorf, die bergische Landeshauptstadt, Mannheim, die Residenz und Schloss Schwetzingen. So sind wir Bergmanns jetzt ein großer, weitverzweigter Clan. Auch im Siebengebirge habe ich noch Familie.“
Als er Andys betroffene Miene sah, fügte er hinzu: „Sorgt Euch nicht, Großonkel Matthias hat es nie bereut, dass er Euch damals geholfen hat. Für unsere Familie und für viele Menschen daheim war er ein Held, und wir Kinder wollten alle so werden wie er.“ „Ich bin froh, dass ich Euch kennengelernt habe“, sagte Andy schließlich, „auch wenn wir uns sicher die Umstände anders gewünscht hätten. Wir stehen tief bei Eurer Familie in der Schuld, nun könnt Ihr auf uns zählen.“
Wenig später wurde Andy sehr schwach und konnte das Bett nicht mehr verlassen. Trotz liebevoller Pflege wusste seine Familie, dass sie bald Abschied nehmen mussten. Auch Johann wich kaum von seiner Seite. „Seid nicht so traurig“, sagte Andy, „ich habe ein langes, erfülltes Leben gehabt. Mehr, als ich damals als Waisenjunge je zu hoffen gewagt hätte. Es war wundervoll, hier ein neues Leben für uns aufzubauen und Euch alle aufwachsen zu sehen.“ Wenig später verstarb er.
Yorktown 1781
Lange Zeit hatten die Amerikaner den britischen und hessischen Truppen kaum etwas entgegenzusetzen, doch dank der militärische Unterstützung Frankreichs und der Ausbildung durch den preußischen General Friedrich Wilhelm von Steuben siegten die Amerikaner 1781 in der entscheidenden Schlacht von Yorktown, und der englische Befehlshaber Cornwallis kapitulierte. Im Frieden von Paris 1783 wurden die Vereinigten Staaten als unabhängiger Staat anerkannt
* übersetzt „unerträgliche Gesetze“ oder „Zwangsgesetze“.
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