Amerika, um 1850. Die Revolution in Deutschland ist gescheitert, viele Demokraten fliehen ins Ausland. Lorenz Bergmann geht zu seinen Verwandten Heinrich und Niklas.
Einige Wochen später standen Niklas und Heinrich Bergmann, nun schon reifere Herrn, am Kai in New York und warteten auf Lorenz. Endlich hatten sie ihn gefunden, doch er war nicht allein. An seine Hand geklammert, hinter seinem Rücken versteckt waren zwei abgemagerte Kinder, dahinter stand scheu deren Mutter. „Ich habe sie auf dem Kai getroffen, sie sind aus Irland und sie wissen nicht wohin“, sagte Lorenz, „Ihr könnt Euch nicht vorstellen, welches Elend auf einigen Schiffen herrscht. Ihr habt doch nichts dagegen, dass wir sie mitnehmen?“
Hungernot in Irland (1845-1848)
Heinrich und Niklas Bergmann wussten von der schrecklichen Hungernot in Irland. In vier aufeinander folgenden Jahren hatte die Kartoffelfäule die Kartoffelernten vernichtet, und mehr als ein Drittel der Bevölkerung hatten ihre Nahrungsgrundlage verloren. Es war eine Katastrophe ungeheuren Ausmaßes.* Die englische Regierung hätte helfen können, aber es kam anders. Die hungernden Iren mussten hilflos zusehen, wie die wenigen Kartoffeln, die sie so dringend in Irland brauchten, von den englischen Landbesitzern nach England verschifft wurden. Es kam noch schlimmer: Die Getreideernte, die sie hätte ernähren können, wurde ebenfalls exportiert, genauso die Milchprodukte, die sich die mittellosen Iren nicht leisten konnten. Viele in Westminster hatten keine Sympathien für die als rebellischen geltenden Iren, im Gegenteil: wenn diese auf ihre althergebrachte Lebensweise nicht überleben konnten, dann war es ihre eigene Schuld – Freihandel bedeutete das Überleben der Stärksten.
Niklas und Heinrich waren geschockt. Sie hatten Napoleons verheerenden Russlandfeldzug überlebt und harte Jahre überstanden, aber diese Kinder und ihre Mutter zu sehen, traumatisiert und nur Haut und Knochen, brach ihnen das Herz. Niklas fand keine Worte. Dann nahm Heinrich, praktisch wie immer, ihr weniges Gepäck auf. „Dann kommt, der Zug nach Hause wartet.“
Mehr schlechte Nachrichten aus Deutschland
Nach ihrer Ankunft im „Merry Dragon“ wurden Lorenz und seine irischen Schützlinge von allen verwöhnt und ermutigt, damit sie sich von den Strapazen erholten. Erst einige Tage später erzählte Niklas Lorenz taktvoll, dass sie mehr schlechte Nachrichten aus Deutschland erhalten hatten.
Huberts Familie, wohlbekannte Demokraten, war denunziert worden, der ältere Herr war ernsthaft krank, und sie alle waren nach Brüssel gegangen um dort mit Henriettes Familie zu leben. Jean hatte seine Frau Anni gedrängt, ihre Kinder Sophie und Hans mitzunehmen. So sehr er sie vermissen würde – er wollte, dass sie lernen, auch das freie und unabhängige Denken, und das war nicht möglich in einem Land, in dem selbst ein Kindergärten als verdächtig galt.
Lorenz war niedergeschlagen, und Niklas versuchte, ihm Mut zu machen. „Unsere Familie und Freunde in Deutschland, sie kämpfen für dieselbe Sache wie Du. Großvater Hubert tat das schon bevor Du geboren wurdest. Es ist eine gute Sache, für die wir kämpfen, mach‘ sie nicht kleiner, in dem Du Dich schuldig fühlst. Das Beste, was Du tun kannst um sie zu ehren ist hier ein Leben nach denselben Idealen zu führen, und allen zu helfen, ihr neues Leben in Amerika zu umarmen und zum Besten zu gestalten.“
Carl Schurz in den USA (1852, Amerika)
Eines Abends kam Harvey mit einer sensationellen Meldung aus Philadelphia zurück. „Wisst Ihr, wer in der Stadt ist?“ rief er, „Carl Schurz! Das ist eine unglaubliche Geschichte!
Nach dem missglückten Sturm auf das Zeughaus in Siegburg waren Kinkel und Schurz nach Baden gegangen, um im badisch-pfälzischen Aufstand mitzukämpfen, doch die Freischärler hatten den preußischen Truppen nichts entgegenzusetzen. Kinkel wurde verletzt und geriet in Haft. Zuletzt blieb ihnen nur noch die Festung Rastatt. Schurz war mit anderen dort eingeschlossen, die Lage war aussichtslos und schließlich kapitulierten sie. Die Preußen haben viele standrechtlich erschossen. Da Schurz preußischer Bürger war, hätten sie auch ihn exekutiert, doch im letzten Moment konnte er entkommen, durch einen Abwasserkanal! Ein Jahr später hat er Kinkel in einer tollkühnen Aktion aus dem Zuchthaus in Spandau befreit und ist mit ihm nach England geflohen. Dort hat er seine Frau kennengelernt und sie sind nach Amerika gegangen. Und nun ist er hier!“ „Ich gäbe was drum, wenn ich ihn einmal erleben dürfte“, sagte Niklas Bergmann, „muss schon ein toller Bursche sein!“ * Nach zuverlässigen Schätzungen sind vermutlich ungefähr eine Million Menschen in Irland verhungert oder an Epidemien gestorben zwischen 1846 und 1851, das sind fast ein Achtel der ganzen Bevölkerung. Hunderttausende Iren wanderten aus in einem Zeitraum von weniger als einem Jahrzehnt. (1845-55).*
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