Familienbande

Kaiser Wilhelm I. vor dem Neuen Palais, Potsdam
Kaiser Wilhelm I. vor dem Neuen Palais, Potsdam

Amerika, um 1911. Lorenz‘ Enkelin Chiara würde gerne einmal ihre deutschen Verwandten und den den Rhein sehen. Doch die Welt auf beiden Seiten des Atlantiks wurde zunehmend kälter.

Über Generationen hatten Bergmanns diesseits und jenseits des Atlantiks stets engen Kontakt gehalten. Ambers Tochter Chiara hatte seit ihrer Kindheit viele Postkarten aus dem Rheinland bekommen und in ein Album geklebt. Der Rhein, Bonn und Köln, der Drachenfels, das Siebengebirge .. von hier aus ist unsere Familie vor fast 200 Jahren nach Nordamerika gekommen“, schrieb sie darunter.

Nun war sie erwachsen und glücklich verheiratet mit John, einem Ausbilder an der Militärakademie in West Point. In ihrem Regal standen die Büchlein über ihr Städtchen. Das erste, „Neue Heimat Pennsylvania“ noch aus der Kolonialzeit von Betty, das zweite, „Untertanen und Bürger“ von Niklas und das dritte „Kriegsjahre“ von Harvey. Ein viertes, „Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ entstand gerade.

Die Verwandten in Europa

Chiara dachte oft an ihre deutschen, oder besser europäischen Angehörigen und Freunde. Sophies Großmutter Henriette war Belgierin, ihr Ehemann Andras war ein österreichisch-ungarischer Diplomat. Ihre Kinder Lottie und Joscha waren eine ziemliche europäische Mischung. Sie kannte Lottie und deren Ehemann Matthias gut, die beiden hatten ein Jahr auf dem Mountain Men Weingut in Virginia verbracht. Sophie hatte sie auf der Hinreise in die USA begleitet, Joscha und Andras waren nach Amerika gekommen, um sie abzuholen. Sie hatten die österreichisch-ungarische Botschaft in Washington gesehen, und Chiara wusste, dass Joscha liebend gerne eines Tages sein Land in den USA vertreten würde.

Die junge Generation hatte die Familienunternehmen übernommen. Lottie und Matthias leiteten das Weingut Bergmann am Drachenfels, sie hatten zwei Kinder, Kathi und Walther. Auch Susan und Etienne aus dem Elsass hatten geheiratet und eine kleine Tochter bekommen. Sie hieß Marie, ein in Deutschland und Frankreich beliebter Name. Den betagten Großeltern Anni und Jean war es vergönnt, noch einige Jahre unter ihren zuversichtlichen und glücklichen Kindern und Enkelkindern zu verbringen, und ihrem treuen Freund Jakob in ihre „Stübchen“. Dann war Anni friedlich verstorben, umgeben von ihren Lieben, und ein wenig später folgte ihr Ehemann Jean ihr.

Abschied von Lorenz

Vor zwei Jahren war Chiaras geliebter, in Deutschland geborener Großvater verstorben. All seine Angehörigen und Freunde waren gekommen, um seiner Witwe Annelie beizustehen, sogar Lotties Kinder waren dabei.

Chiara und ihre Mutter Amber hatten sie in New York abgeholt, dann waren sie zusammen weiter nach Pennsylvania gefahren, zum Landgasthof „Merry Dragon“, den Amber seit einiger Zeit führte. Der schöne alte Landgasthof aus der Kolonialzeit war inzwischen mehrfach renoviert und modernisiert worden, es gab ein Auto, Telefon und zwei Kühlschränke, doch seinen Charme hatte er behalten. Dort warteten schon Chiaras Mann John und ihre Kinder auf sie. Susan freute sich riesig, dass noch immer rund um den Landgasthof die kleinen gelben Blumen mit den schwarzen Köpfchen wuchsen, die „Black-Eyed Susan“, die sie schon bei ihrem ersten Besuch als kleines Mädchen so entzückt hatten. „Glückliche gemeinsame Jahre zählen doppelt“, hatte ihre geliebte Großmutter ihnen allen gesagt. Chiara hatte ihnen ihr Album aus der Kinderzeit gezeigt.

Doch als sie sah, wie Annelie die Csabanys beiseite nahm, all ihre Gesicht ernst, wusste sie, dass auch sie sich Sorgen um die wachsenden Spannungen in der Welt machen.

Imperialisten

Inzwischen schauten viele ihrer amerikanischen Landsleute auf Deutschland mit einer Mischung aus Bewunderung für seinen wirtschaftlichen und technischen Fortschrift, Verachtung für sein autokratisches Regierung und Misstrauen gegen die militärische und nationalistische Kaste, auf die der Kaiser hörte. Auch Amerikas Außenpolitik wurde zunehmend imperialistischer. Carl Schurz, nun ein „Elder Statesman“, war entsetzt; bis zu seinem Tod 1906 wandte er sich mit aller Entschiedenheit, doch vergeblich dagegen.

Chiara würde liebend gerne einmal den Rhein sehen. Doch die Welt wurde kälter, auf beiden Seiten des Atlantiks.

Bildnachweis
Das Bild ist aus der Deutschen Wikipedia, public domain section.

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