Die Flucht

Bonn um 1700
Bonn um 1700

Rheinland, 1714. Baumeister Anton aus Bonn und sein mennonitischer Ziehsohn Andreas sind beim Landeshern in Ungnade gefallen und müssen fliehen.

Nach vielen Jahren Krieg um die spanische Thronfolge war endlich Frieden geschlossen worden. Erzbischof Joseph Clemens von Köln, der sich mit seiner Wittelsbacher Familie gegen Kaiser Leopold I. auf die Seite des Feindes geschlagen hatte, war begnadigt worden und kehrte aus dem Exil in Frankreich in seine Residenzstadt Bonn zurück.

Anton, Baumeister

Es waren keine guten Nachrichten für Anton Tombach, Baumeister im Dienst des Kurfürsten. Im Gegenteil, ihm drohte eine lange Haftstrafe, wenn nicht gar Schlimmeres. Viele Jahre hatte er gerne für den Erzbischof gearbeitet, und es gab stets viel zu tun. In den Jahren nach dem Pfälzischen Erbfolgekrieg ging es dann nur noch darum, die vielen geschundenen Orte wieder aufzubauen. Die kurfürstliche Residenzstadt Bonn war über Monate belagert und beschossen worden war, bis sie schließlich kapituliert hatte. Weite Teile der Stadt lagen in Trümmern. Dollendorf, Königswinter und Rhöndorf waren 1689 von der Soldateska erobert und niedergebrannt worden. Antons junge Frau Lisbeth war umgekommen. In der Pfalz waren ganze Landstriche verheert.

Andreas, ein Waisenjunge

Oft erreichten ihn Hilferufe aus der Pfalz. Für Anton machte es keinen Unterschied, ob er einer katholischen, lutheranischen oder mennonitischen Familie wieder ein Zuhause gab – er half, wo er konnte. In einem pfälzischen Dorf hatte er Andreas getroffen, einen mennonitischen Waisenjungen, der bei entfernten Verwandten lebte. Überwältigt von der Not der Menschen und spontaner Zuneigung hatte Anton Andreas zu sich genommen. Er ließ ihn katholisch taufen, denn sonst hätte er nicht bleiben können, machte ihn aber auch mit der mennonitischen Glaubensrichtung vertraut.

Schiffchen auf dem Mirbesbach im Siebengebirge

Nun lebte der Junge bei Antons Schwägerin, die in Dollendorf, auf bergischem Gebiet, einen kleinen Gasthof führte, den „Fröhlichen Drachen“. Nach dem tragischen Tod seiner Frau gab der Junge Anton neuen Lebensmut. Oft ging er mit ihm im Siebengebirge wandern, zurück gingen sie meistens den Mirbesbach entlang. Oben in den Bergen setzten sie ein Holzschiffchen, das Anton aus Aststücken geschnitzt hatte, auf das Wasser, und schauten ihm dann den ganzen Weg hinab ins Tal nach. Anton bemerkte gleich, wie geschickt Andreas im Umgang mit Holz war, und welche Freude er daran hatte. Bald reparierte Andreas im Gasthof Stühle und lernte beim kurfürstlichen Tischlermeister.

Der verkommene Zahlmeister des Kurfürsten

Der Frieden hatte nicht lange gewährt. Nur wenige Jahre später war der Spanische Erbfolgekrieg ausgebrochen, und wieder hatte sich der Kölner Erzbischof auf die Seite Frankreichs geschlagen. 1703 wurde Bonn erneut bombardiert. Anton hatte in ohnmächtiger Wut gegen den Erzbischof protestiert. „Was müsst Ihr wieder die Feinde ins Land holen!“ hatte er gerufen, „hat es nicht genug Leid gegeben?“ Nun würde der Kurfürst bald zurück in Bonn sein. Vielleicht hatte er ihm vergeben oder war zumindest pragmatisch genug, den Ausbruch seines Baumeisters zu vergessen, denn er hatte Pläne für ein neues Schloss in Bonn*.

Doch mit dem Kurfürsten kam Prekarius, sein Zahlmeister, zurück. Er hasste Anton, seitdem dieser Unterschlagungen aufgedeckt hatte. Mit seinen Handlangern zog er los, um den Gasthof „Zum Fröhlichen Drachen“ kurz und klein zu schlagen und Anton zu verhaften. Nachbarn und der eilig hinzu bestellte Amtmann** konnten gerade noch das Schlimmste verhindern. Anton war erschüttert.

Bergischer Amtmann mit Mut und Anstand

Der Amtmann wies seine Männer an, Prekarius und seine Spießgesellen zu verhaften. Da rief Prekarius mit schneidender Stimme: „Wisst Ihr, wen Ihr da beschützt? Einen verdammten Ketzerfreund! Dieser Mann hat ihre Häuser wieder aufgebaut, und dieser Junge da kommt aus einer Ketzerfamilie! Wer Ketzern hilft, ist selbst verdammt!“ Anton erbleichte, und auch der Amtmann war betroffen. „Anton“, sagte er nach einer Weile, „ich kenne Euch, Ihr seid ein redlicher Mann. Aber unser Landesherr, der Kurfürst Johann Wilhelm, duldet nur Katholiken. Geht mit Eurem Jungen fort, nach England oder Amerika, wo es Toleranz in Religionsfragen gibt. Ich sorge für sicheres Geleit über die Grenze.“

„Ihr wollt sie so gehen lassen?“ schrie Prekarius außer sich vor Wut. „Schweigt!“ donnerte der Amtmann, „Ihr wollt ein Mann Gottes sein? Ein verdammter Pharisäer seid Ihr! Ihr habt mit Euren Spießgesellen auf meinem Gebiet Selbstjustiz üben wollen, und das dulde ich nicht! Ihr bleibt in Gewahrsam, bis Ihr für den Schaden aufgekommen seid und diese beiden sicher über die Grenze sind!“

Aufbruch

Dann wandte er sich wieder Anton und Andreas zu. „Kommt mit mir, heute Nacht seid ihr bei mir sicher. Gleich morgen früh bringt Euch meine Kutsche nach Düsseldorf, und dort finden wir ein Schiff für Euch.“ Beim Abschied am nächsten Morgen sagte er eindringlich: „Anton, lasst Euch um dieses Leben nicht betrügen. Findet Euer Glück!“

* Erzbischof Joseph Clemens ließ das Poppelsdorfer Schloss in Bonn bauen.
** Verwaltungsbeamter im Herzogtum Berg.

Bildnachweis
Das Bild ist aus der Deutschen Wikipedia, public domain section.

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